Augen geöffnet: Danke!
Glaubensimpuls 664 von Gregor DalliardVor kurzer Zeit erhielt ich eine sehr bewegende Mail, die ich nach längerem Hin und Her nun doch etwas verkürzt veröffentlichen darf. Andere sollen sich doch auch freuen an einem so ergreifenden Zeugnis. Das ist nach wie vor meine Überzeugung. Dass dies nun geschehen darf, freut mich ganz besonders. Dieses Zeugnis kann dem einen oder anderen helfen auf der Suche nach dem Verständnis der biblischen Zusammenhänge voran zu kommen. Hier folgen nun Auszüge aus diesem Brief.
“… Sie haben mir die Augen geöffnet, dafür möchte ich Ihnen aufrichtig danken. Ich habe Theologie studiert (Laientheologin), bin offiziell noch katholisch, weil mich die familiären, finanziellen und beruflichen Umstände dazu zwingen, aber im Herzen habe ich mich von der Kirche gelöst, denn genug ist genug. …
Wenn die Kinder einmal ihre Ausbildung hinter sich haben werden, dann werde ich mich auch äusserlich vom christlichen Glauben lösen. …
In der Hebräischen Bibel, die wir, wie Sie schreiben, fälschlicherweise als Altes Testament bezeichnen, gibt es viele widersprüchliche Aussagen, die uns verwirren können, wenn wir uns auf sie fixieren, ohne, wie Sie korrekt schreiben, die prophetischen und die geschichtlichen Zusammenhänge und die äusserst bildreiche Vermittlungsweise der Juden ausser Acht zu lassen und nicht auseinander zu halten. Das tun wir aber seit bald 2000 Jahren in der christlichen Theologie. Das ist der Grund, der uns Christen zum Verhängnis geworden ist und das in äusserst tragischer Weise mit schrecklichen Folgen für Christen und Juden.
Wir lesen in Genesis 1:31 ‘Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut’ (Elb). In den folgenden Kapiteln aber lesen wir über ein seltsames Paradies, Berichte von Adam und Eva, den Rauswurf aus dem Paradies, dem Brudermord usw. Dabei spielt der Zorn Gottes über die Menschen eine zentrale Rolle. Das schien mir immer schon seltsam zu sein, und ich fragte mich schon als junger Mensch, was ist das für ein komischer Gott, der alles sehr gut gemacht hat und dann stellt sich heraus, dass er doch alles falsch gemacht hat. Immer ist er voller Zorn gegen sein Volk, das er doch selbst geschaffen und auserwählt hat. Er weiss sich selbst nicht zu helfen und weiss auch den Menschen nicht zu helfen. In seiner Not sucht dieser Gott Hilfe bei den Menschen.
Eine Frau stellt sich ihm zur Verfügung. Mit ihr zeugt er einen Sohn, sie gebiert ihm diesen Sohn (Gal 4:4), einen Menschensohn. Der hilft ihm schliesslich aus der Patsche (die Gottheit Jesus Christus, wahrer Mensch und wahrer Gott). Das Problem ist gelöst und zudem ist mit dem Menschensohn und seiner Tragödie die ganze Menschheit erlöst (vgl. 1. Jo 2:2). Das ist nichts anderes als ein perfektes griechisches Götterdrama (griechische Tragödie, eine Dramaturgie), wie wir sie aus jenen Tagen kennen.
Von Erlösung ist in dieser Welt nichts oder zumindest nicht viel zu sehen und zu erleben. Im Gegenteil: die Anhänger dieser Theologie, dieses Menschensohnes, der nichts mit dem Juden Jeschua von Nazareth zu tun hat, stürzte die Menschheit in ein Meer an Leid, das nicht von der Hand zu weisen ist.
Neben Paulus ist der berühmteste Kirchenlehrer der Christenheit der heilige Augustinus von Hippo, Nordafrika. Er schuf im 4./5. Jh. aus den ersten Kapiteln der Hebräischen Bibel die folgenschwere Irrlehre vom Sündenfall. Paulus, Augustinus und alle diese Koryphäen des christlichen Glaubens beweisen das Problem, das ich oben erwähnt habe. Sie verstanden nichts von der jüdischen Denkweise, von ihrer reichen Gleichnis- und Bildhaftigkeit in diesen Kapiteln. Diese Männer konnten von ihrer geistigen Prägung her nichts verstehen, nahmen wörtlich, was niemals wörtlich verstanden werden darf. Wie Paulus war auch Augustinus von der griechischen Philosophie der Stoiker (Götterdramaturgie) geprägt. Kämpfe der Götter untereinander, Sünden- und Höllenfall sind darin zentrale Ereignisse. …
Was habe ich im Laufe der Zeit verstanden? Diese Männer hatten dieselben Probleme mit der Hebräischen Bibel, wie wir sie heute noch im Christentum haben. Sie waren, wie Sie zurecht immer wieder hervorheben, von der griechischen Kultur geprägt; das sind wir im Christentum immer noch. Die Menschen, die in diesen Kulturen heranwuchsen, lebten in einer engen Beziehung zu vielen Göttern, die unterschiedliche Anforderungen an die Menschen stellten. Wurde diesen Anforderungen nicht entsprochen, reagierten sie bitter böse, drohten mit Rache, Strafen und schweren Gerichten. Diese Kulte waren ein fester integraler Teil im Leben der Menschen dieser Epochen. Ihre Denk- und Lebensweise war davon beherrscht, etwas anderes hatte in ihrem Denken und in ihrer langen Kultur (Götterkultur) keinen Platz, das gab es für sie nicht.
In den Zehn Weisungen (auch Zehnwort oder Zehn Gebote genannt) der Hebräischen Bibel wird der Götterkult konsequent abgelehnt: „Du sollst keine andern Götter haben… Du sollst dich vor ihnen nicht niederwerfen (sie nicht anbeten) und ihnen nicht dienen (keinen Kult mit ihnen treiben) (2Mo 20,3.5). Darum mussten die griechischen Philosophen, die griechischen Denker, die Juden ablehnen. Als sich diese Kultur im Papsttum die Weltmacht aneignete, leiteten die führenden Kleriker eine erbarmungslose Jagd auf die Juden ein, die im Holocaust einen entsetzlichen und grauenvollen Höhepunkt erlangte [Einfügung von Gregor: Juden als Atheisten Gim 179].
Die Hebräische Bibel spricht konsequent von einem einzigen Gott, nicht von dreien, wie allgemein im Heidentum und von den Christen gelehrt wird, auch nicht von zwölf Göttern, oder vielen mehr, wie das in der griechischen Mythologie und im Alltagsleben der heidnischen Völker üblich war (und ist). Damit lehnten die jüdischen Schriften (der TaNaCH) die hochheilig gepflegte traditionelle Vielgötterei im Heidentum ab.
Nach diesen Vorstellungen und Lehren erfüllten und erfüllt jeder dieser Götter im Alltag und im Universum eine spezielle Aufgabe. (Diese heidnische Tradition lebt vor allem im katholischen Heiligenkult weiter). In der Erfüllung ihrer Funktion hielten diese Götter das Leben in dieser Welt und im Universum aufrecht und in Gang. Das war ihre unantastbare Vorstellung und Lehre.
Für die Juden waren die wirksamen Kräfte der Natur und im Kosmos keine Götter, also keine personifizierten Wesen, die selbständig schalten und walten konnten. Sie waren und sind Werke des EINEN Schöpfers JaHuWaH, der Himmel und Erde geschaffen hat. Durch diese Überzeugung und Lehre der Juden fühlten sich die griechischen Philosophen provoziert. Welt und Kosmos schienen damit ins Chaos zu entgleiten. Darum wurden die Juden systematisch als Atheisten (Götterlose) abgelehnt und gemieden, obwohl immer wieder Philosophen das Wesen JaHuWaHs entdeckten und der Lehre der Juden beipflichteten.
Obwohl die Hebräische Bibel den Götterkult konsequent ablehnt, führten die jüdischen Priester im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Eigenschaften und Elemente aus dem Heidentum in die Gemeinde JaHuWaHs ein, wie z. B. das irdische Königtum, oder das Wesen eines zornigen Gottes, dem zur Versöhnung und zur Besänftigung Tieropfer dargebracht werden mussten. Dagegen gingen die Propheten mit all ihrer Überzeugungskraft konsequent vor. …
Für viele Leser des TaNaCHs ist die Tatsache verwirrend, dass die Israeliten, bzw. die Juden im TaNaCH JaHuWaH einerseits als den einzig EINEN Gott verkünden und lehren, ihm aber anderseits im Laufe ihrer langen Geschichte so viele Eigenschaften aus der Götterwelt zugeschrieben haben.
Im Laufe der langen jüdischen Geschichte haben solche Eigenschaften und Forderungen der Götter ihren Einzug in die kanonischen Texte der Hebräischen Bibel gefunden, gerade so, als gehörten sie zu den Forderungen JaHuWaHs, des einzig EINEN. Das irritiert Menschen, die sich vom Götzenkult verabschieden wollen, die aber in der Hebräischen Bibel nach dem einzig EINEN suchen.
Was Suchende weiter irritiert ist die Tatsache, dass Forderungen der Götter für viele Juden heute noch zum festen zentralen Bestandteil ihres Alltagslebens gehören, weil solche Forderungen in der Hebräischen Bibel enthalten sind. Solche Juden vermögen bisher nicht zu unterscheiden, was JaHuWaH entspricht und was den Göttern, weil uns in der Hebräische Bibel eben beides als von JaHuWaH gegeben, vermittelt ist. Damit bekunden viele Juden mehr Interesse an den Forderungen der Götter als an JaHuWaH. Vor allem ultraorthodoxe Kreise sind dieser Tragik verfallen.
Diese Juden sind nie gelehrt worden zwischen dem zu unterscheiden, was JaHuWaH über seine Propheten lehrt und dem, was die Priester und die falschen Propheten im Laufe der Jahrhunderte aus dem Heidentum übernommen haben, und das damit Eingang in die kanonischen Schriften gefunden hat.
Dieser Tatbestand verwirrt viele Leser der Hebräischen Bibel. Das Problem stellte sich damals und es stellt sich uns heute genauso. Weder jene, die in den griechischen Denkmustern gefangen sind, noch wir selbst, vermochten die andauernden Auseinandersetzungen der Propheten mit den Priestern aus den Texten des TaNaCHs zu erkennen. Lesen wir nur die Priestertexte, dann vermittelt die Hebräische Bibel Götzendienst am Laufmeter. Erkennen wir die Botschaft der Propheten JaHuWaHs aus dem Mischmasch der Priestertexte, dann eröffnet sich uns der Weg zu einem Leben des inneren Friedens und des Segens. …
Sie wussten mit den überlieferten schriftlichen Berichten und den Widersprüchen innerhalb dieser Berichte in der Hebräischen Bibel nicht umzugehen. Sie erkannten den reichen Schatz, der in diesen Schriften verborgen ist nicht, den uns JaHuWaH gerade mit dem Judentum und seinen Schriften vermittelt. Sie verwarfen diesen Schatz, indem sie die Schriften zum Schaden der Menschheit willkürlich auslegten. In ihrem Judenhass schufen sie die Ersatztheologie, die sie mit diesen Schriften begründeten und rechtfertigen. Daraus entwickelten sie die Lehre von einem Sündenfall, die ganz der griechischen Kultur und deren Götterdramen entspricht, aber niemals dem hebräischen Denken und den Erfahrungen mit JaHuWaH, dem Höchsten. …
Die Hebräische Bibel vermittelt uns die widersprüchlichen Entwicklungen und Auseinandersetzungen aus der langen geschichtlichen Entwicklung des Judentums, ganz besonders zwischen den Propheten JaHuWaHs und den falschen Propheten und Priestern. Schonungslos gibt sie diese Situation wieder.
Wie ich oben bereits sagte, gab mir folgende Tatsache zu denken: Wie kann JaHuWaH, der El Eljon, alles sehr gut gemacht haben und dann ist ein Sündenfall möglich? Ich bin zum Schluss gekommen, dass alle negativen Drohungen und Handlungen, die uns als Eigenschaften und Verhaltensweisen JaHuWaHs, des Höchsten vermittelt sind, niemals von JaHuWaH sein können. Wie Sie korrekt schreiben, ist das Denken und Schreiben im Judentum von einer unvorstellbar reichen Bildsprache und einer reichen Fülle an Metaphern geprägt, um Zusammenhänge im täglichen Leben besser verstehen zu können. Als Erstes gilt es für den Leser der Hebräischen Bibel zu erkennen und zu verstehen, was bildliche Darstellungen sind, die den Menschen etwas aus dem Alltagsleben erläutern wollen, wie die Berichte von Adam und Eva, der Rausschmiss aus dem Paradies usw. Dann gilt es zu verstehen, dass Inhalte, die von einem zornigen Gott und Ähnlichem berichten, von einem falschen JHWH sind, denn JHWH, der alles sehr gut gemacht hat, kann nicht im Nachhinein wütend sein über das, was er sehr gut geschaffen hat. Dieses Wissen ist tatsächlich die notwendige Voraussetzung, um gelassen an die Inhalte der Hebräischen Bibel heran zu gehen.
Alles, was nicht dem Zeugnis in Genesis 1:31 entspricht, ist nicht von JHWH (JaHuWaH, dem El Eljon, dem Höchsten), sondern von Priestern und falschen Propheten hineingeschmuggelt worden. Unter dem Deckmantel des Namens JHWH, des El Eljon, des Höchsten setzten sie ihre Absichten (und frommen Bosheiten) beim Volk durch.
Heute kann ich die Hebräische Bibel mit viel Freude und Dank lesen, kann unterscheiden, was von JHWH, dem Höchsten ist und was von einem falschen JHWH ist. Vieles lese ich nicht mehr, weil ich weiss, dass es von einem falschen JHWH (JaHuWaH) vermittelt worden ist, wie z. B. der Grossteil aus dem Buch Leviticus.
Fehlt uns diese Unterscheidung, dann bleiben wir weiterhin in der Falle der Ersatztheologie sitzen. Wer kann das verantworten? Dieser Weg führte uns schnurgerade in den Zweiten Weltkrieg mit dem unermesslichen und grauenvollen Leid des Holocausts und weiter zum 7. Oktober 2023. Wollen die Christen tatsächlich, dass das so weiter geht?” …
Soweit das lehr- und hilfreiche Zeugnis eines suchenden Menschen, der alles verkauft, um den Acker mit dem Schatz zu haben. Wir sind zutiefst dankbar für solche Zeugnisse.
Mögen wir weiterhin auf unserem Weg der Zuversicht und des guten Engagements den Spuren des Jahushua von Nazareth folgen, einen schlichten und unkomplizierten Umgang mit den Mitmenschen pflegen, so gut es eben geht. Ohne Widerwärtigkeiten geht das natürlich nicht, doch diese gehören zu unserem Leben dazu.
Allen wünsche ich einen gesegneten Shabbat Shalom.
Herzliche Grüsse
Gregor Dalliard
Ankündigungen
Wir laden dich herzlich zu unserem nächsten Bibeltreffen in Finsterhennen ein. Wir treffen uns wieder am 15. Dezember 2024 um 14,00 Uhr bei Martin und Kornelia Hunzinger-Schmid, Allmenhag 2, 2577 Finsterhennen. Wir freuen uns ganz fest auf die gemeinsame Zeit! Shalom!
In unregelmässigen Abständen publiziere ich Lebensimpulse (Lims).
Unter dem Kennwort Fragen Leserfragen (Lefs) möchte ich neu auf Leserfragen eingehen. Dabei werde ich auch aufschlussreiche und weiterführende Zusammenhänge anderer zu wichtigen biblischen Themen veröffentlichen.